Wolfgang Leischner
Zeugin einer besseren Welt
zum 25. Todestag von
Frau Dr. Johanna Decker
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Der Verfasser dieses
Artikels, z.Zt. Assistenzarzt in der chirurgischen Abteilung der
Donau-Ries-Klinik Donauwörth, beschäftigt sich im Rahmen
einer medizinischen Doktorarbeit bei Herrn Prof. Dr. med. Herbert
Feustel, Missionsärztliche Klinik Würzburg, mit der Geschichte
der Missionshospitäler in der Erzdiözese Bulawayo/ Zimbabwe
und den Biographien ihrer leitenden Ärztinnen.
Der äußere
Rahmen ihres Lebens
Am 9. August d.J.
sind es 25 Jahre her, dass die Missionsärztin Dr. Johanna Decker
an ihrer Wirkungsstätte, dem St. Paul's Hospital, einem Buschkrankenhaus
im südwestlichen Zimbabwe (nördliches Matabeleland) während
des Unabhängigkeitskrieges im damaligen Süd-Rhodesien erschossen
wurde. Begonnen hatte ihr Lebensweg am 19.06.1918 in Nürnberg,
die Schulzeit verbrachte sie aufgrund des väterlichen Berufes
in Amberg (das Gymnasium der Armen Schulschwestern trägt heute
ihren Namen), Medizinstudium in München. Aus der kirchlichen Jugendarbeit
entwickelte sich ihre "Berufung" zur Missionsärztin. Mit 21 Jahren
nahm sie Kontakt mit dem damaligen Direktor des Missionsärztlichen
Instituts auf, an Epiphanie 1946 legte sie das eidliche Versprechen
ab "nach Vollendung der medizinischen Studien sich mindestens 10 Jahre
lang der Missionen in den Heidenländern zu widmen". Nach einer
praktischen Ausbildung an verschiedenen Kliniken Deutschlands und einer
kurzen Zeit in eigener Praxis als Nervenfachärztin in Mainz folgte
sie 1950 ihrer Kollegin Dr. Davis-Ziegler und baute mit ihr zusammen
das Fatima-Hospital in enger Zusammenarbeit mit den Mariannhiller Missionaren
auf. Ab 1960 folgte dann der kontinuierliche Auf- und Ausbau des St.
Paul's Hospitals im Bezirk Lupane.
Als einzige Ärztin
betreute sie mit ihrem Team auch die sieben Außenstationen in
einem Umkreis von ca. 100 km. Anwesenheit am Ort bedeutete auch gleichzeitig
Dienst in der Klinik, ein Privatleben gab es praktisch nicht. Abends
wurden Rundbriefe, Anträge für Misereor oder administrative
Aufgaben erledigt. Neben einer Hebammenschule am Ort bildetet sie
auch junge einheimische Ärzte aus. Die unregelmäßig
Urlaube verbrachte sie meist in Europa mit Fortbildungskursen, Vorträgen,
Organisation von Nachschub und Besuch bei Freunden und Verwandten, die
sie auch unterstützten. Es gibt eine Reihe von wissenschaftlichen
Veröffentlichungen aus ihrer Hand in medizinischen Journalen
in Südafrika, England und Deutschland, z.B. eine Fallbeschreibung
"Mono-amniotic twins with true knot between cords" im Central African
Journal od Medicine 1976, über Masernkomplikationen in Afrika
1965 oder über einen Pestausbruch. Sie versuchte auch medizinische
Themen einem interessierten Publikum in Vorträgen und populärwissenschaftlichen
Beiträgen zu erschließen, z.B. in "Afrikanische Beobachtungen
zu Zivilisationskrankheiten" oder 1973 für eine Aktion des Päpstlichen
Missionswerkes der Kinder in Aachen über Kwashiorkor und Marasmus.
Ihre medizinische Arbeit
umfasste sowohl ein breites Spektrum der kurativen Medizin am einzelnen
Menschen als auch das Bemühen um eine Verbesserung der Lebensumstände
für die gesamte Bevölkerung (Prävention, Public Health)
die Notwendigkeit von beidem brachte sie in einer Rede zum St. Paul's
Tag wenige Wochen vor ihrem Tod zum Ausdruck, die sich im Rückblick
wie ein Vermächtnis liest. Sogar für pastorale Aktivitäten
nahm sie sich Zeit, so übte sie mit dem Personal des Krankenhauses
einen "Kreuzweg der Heiden" ein, eine Art Passionsspiel auf afrikanisch.
Mit der täglichen Messe in einer kleinen Buschkapelle (einer
ihrer sehnlichsten Wünsche, der Bau einer afrikanischen Rundkirche,
kam über das Planungsstadium nicht hinaus) begann ihr langer
Arbeitstag, auch ihr letzter Tag, der 9. August 1977 begann so: am
frühen Nachmittag wurde sie zusammen mit Schwester Ferdinandea
Ploner CPS, die erst seit wenigen Wochen in St. Paul's arbeitete, von
zwei alkoholisierten Schwarzen erschossen, die zuvor auf dem Weg
ins Hospital einen Häuptling ermordet, einem Mann die Augen ausgestochen
und auf dem Hospitalgelände Patienten geschlagen hatten. Das
Hospital wurde daraufhin geschlossen und wie ein Nachhall wurden einige
Monaten später auch noch teilweise die Gebäude geplündert
und zerstört. Heute wird St. Paul's als Außenstation von
St. Luke's geführt. Ihr Tod wurde nicht nur in den kirchlichen
Medien im deutschen Sprachraum und im südlichen Afrika sehr beachtet,
juristisch hingegen nie geahndet.
Der innere Weg von
Hanna Decker
So beeindruckend und
großartig ihr Leben war, es bleibt unverständlich, wenn
nicht auch die Innenseite ihrer Tatkraft und Schaffensfreude beleuchtet
wird. Menschen, die sie persönlich gekannt haben, beschreiben
sie als "Schaffertyp", vital und lebendig, nicht sentimental,
psychisch und physisch gesund, sehr interessiert, klar, praktisch,
intelligent und mit einer starken religiösen Begabung und Intuition.
Jeder, der nach ihrem Tod Gelegenheit hatte, in ihr Tagebuch Einblick
zu nehmen (das aus mehreren Bänden besteht und sich größtenteils
im Generalat der Mariannhiller Missionare in Rom befindet), ist überwältigt
von dem Reichtum, der da in energischer Schrift in deutscher und englischer
Sprache, teils stenographisch, seinen Niederschlag gefunden hat. Meist
sind es Texte und Zitate aus Büchern und Zeitschriften (z.B. Christ
in der Gegenwart), die ihr viel bedeutet haben, dazwischen persönliche
Bemerkungen zum (geistlichen) Leben wie Vorsätze, Erkenntnisse
oder Gebete und auch Reflexionen ihrer Arbeit oder Anmerkungen zu Begegnungen.
Es erinnert an das Tagebuch "Wegmarken" des 2. UN-Generalsekretärs
Dag Hammarskjöld, der 1961 bei einer Vermittlungsmission im damaligen
Nordrhodesien (heute Sambia) um's Leben gekommen ist. Ihre zahlreichen
persönlichen Briefe, v.a. an ihre Mutter und Schwester, sprechen
die gleiche Sprache: hier widmet sich jemand mit großem Enthusiasmus
seiner Lebensaufgabe, in nicht ermüdender Begeisterung. Beheimatet
in der geistigen Welt des christlichen Abendlandes hat sie dieses geographisch
verlassen um Menschen zu dienen, deren Mentalität ihr bis zum
Schluss letztlich fremd geblieben ist, die sie aber gebraucht haben.
Sie hat gelitten unter dieser Fremde und der Abgeschiedenheit im Busch
und hat immer wieder die Sehnsucht nach "schönen" Erlebnissen zum
Ausdruck gebracht: einen Berg in den Alpen besteigen, ein Konzert
besuchen, ... - Dinge, auf die sie meist wegen ihrer Aufgabe verzichten
musste.
Aber sie ist ihrer Berufung
treu geblieben und nicht vom Weg abgewichen, auch dann noch, als sie
zu ahnen begann, dass er nicht gut enden würde. Vielleicht war
das noch schlimmer als die eigentlich Ermordung: die dunklen Vorahnungen,
die mehrfach bezeugt sind: bei ihrem letzten Abschied von Europa
im Herbst 1976 hat sie auf dem Flughafen in Rom sehr geweint, die
Ermordung von Bischof Schmitt im Dezember 1976, ...Dabei hat sie
das Risiko nie gesucht, nur um ihrer Aufgabe willen in Kauf genommen.
Sie hat sich nicht politisch exponiert, ihr Ziel war die medizinische
Sorge für die ihr anvertrauten Menschen. Trotzdem wäre es
falsch ihr Leben nur vom Ende her zu sehen und dies in den Mittelpunkt
ihrer Biographie zu setzen: die iroschottischen Mönche haben zwischen
dem blutigen "roten" und dem "weißen" Martyrium unterschieden,
letzteres besteht in der "peregrinatio", dem Leben in der Fremde -
das ist es, was sie in den 27 Jahren Rhodesien auf sich genommen hat
um ihre Mission zu erfüllen.
Vielleicht kommen Ihnen
diese Zeilen zu heroisch oder als nachträgliche Glorifizierung
vor, sie sind es nicht: die schriftlichen Dokumente, die glaubwürdigen
Zeugnisse derer, die sie persönlich gekannt haben, gehen alle
in dieselbe Richtung und lassen keinen anderen Schluss zu: hier ist jemand
nicht hinter seinen Möglichkeiten zurückgeblieben, hier hat
jemand authentisch Nachfolge verwirklicht, in zahlreichen Bereichen und
Spannungsfeldern: in einem breiten Spektrum ärztlicher Tätigkeit
mit einer großen beruflichen Professionalität, in der nicht
immer einfachen Zusammenarbeit in einem überwiegend von Frauen
getragenen Gesundheitswesen und in einem von Männern geprägten
kirchlichen Milieu, in einer fremden Sprache und Kultur, in politisch
und sozial unruhigen Zeiten (Nationalsozialismus, Befreiungskrieg Rhodesien).
Bei aller Zeitbedingtheit , z.B. in den Formulierungen ("Gott zum Gruße",
...) handelt es sich hier um ein Zeugnis, das nicht vergessen werden
darf. Zurecht wurde Johanna Decker daher in das deutsche Martyrologium
des 20. Jahrhunderts aufgenommen, das im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz
anlässlich des Heiligen Jahres 2000 herausgegeben wurde. P.
Odilo Weeger CMM, der Gründer der Fatima-Mission, hat beim Requiem
für die Ermordeten in Bulawayo eine Frage gestellt, die auch
uns heute noch gilt: "Wer wird ihren Platz einnehmen"?
Zum
Weiterlesen:
- A. L. Balling: Johanna Decker, in: Zeugen einer besseren
Welt, Christliche Märtyrer des 20.
Jahrhunderts, Hg. i. A. der DBK und der ev.. Kirche in Deutschland,
Leipzig 2000
- A. L. Balling: Keine Götter, die Brot essen, Missionsverlag
Mariannhill, Würzburg 2001
(über die Rhodesien/Simbabwe-Märtyrer der Mariannhiller
Missionare).
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