Dieser Gazette Artikel bleibt aktuell. Quelle dieser Seite: Die Gazettewww.gazette.deLenz Rossbach Die unheilige Vorsehung Bert Hellinger, dem Therapeuten, bedeutet ein Menschenleben herzlich
wenig. Ein individuelles Leben, kommentierte er die Kaprun-Toten
in der ZEIT, sei nur eine "Zwischenstation" und der Glaube
an seine Unersetzlichkeit "philosophisch absurd". Er hat sein
"Todesbild" wenig später sogar TV-öffentlich gepredigt:
Da wir beim Sterben eh alle in irgendeinen "Urgrund zurücksinken",
könne er den einzelnen Menschen nicht so ernst und wichtig
nehmen. "Und dahinter ist also ein Bild, das sich dann geformt hat im Lauf der Zeit, dass die Familie eine gemeinsame Seele hat und dass diese Seele sowohl die Lebenden wie die Toten miteinander verbindet ..." Mit diesem Gedanken findet Hellinger Anschluss an die gängige
Vulgäresoterik. Der dazugehörige Begriff der "Gruppenseele"
findet sich bei Anthroposophen, die damit gern die niedere
Seinsstufe von Tieren bezeichnen (Hunde haben demgemäß
eine "Gruppenseele"), gelegentlich aber auch ganze Ethnien, wenn
etwa die Juden ("Goetheanum", Mai 1998) als unbelehrbares und
geistig zurückgebliebenes "Gruppenseelentum" dargestellt
werden. Auch in anderen Esoterik-Zweigen spielt der Begriff
eine fatale Rolle, in Tantra-Seminaren zum Beispiel oder der sogenannten
"Reinkarnationstherapie". Bei ihnen, ebenso wie bei Hellinger,
gibt es kein Individuum mehr, sondern nur den umfassenden Gruppenverband.
Erst hier kann sich bilden, was Hellinger so am Herzen liegt:
"die Ordnung". Und der Einzelne ist immer nur ein Element dieser
höheren "Ordnung". "Da, wo wir herkommen, lieben wir auch am meisten. Und daher richtet sich die Urliebe in erster Linie auf die eigenen Eltern und die eigene Sippe, dann aber auch auf die eigene Heimat und das eigene Volk. Aus dieser Liebe heraus ist ein Kind bereit, alles dranzugeben, selbst das eigene Leben und Glück, wenn es nur den Eltern und der Sippe dadurch besser geht. Diese Liebe ist bei denen am stärksten, die auch am meisten abhängig sind. In der Familie sind es die Kinder, in einem Betrieb die Arbeitnehmer, in einer Armee die gemeinen Soldaten und in einer Kirche das einfache Volk. Bei ihnen sehen wir deshalb auch die größte Treue und den selbstlosesten Einsatz." Hier, in seiner Sprache, fängt Hellinger an, sich zu verraten:
Ein Weltbild, das die "Abhängigkeit" von Kindern und
Arbeitnehmern, "gemeinen Soldaten" und einem "einfachen
Kirchenvolk" feiert und deren Liebe (samt "Treue und Einsatz")
verlangt, ist nicht bloß gesetzwidrig, sondern schlechthin totalitär.
Hatten wir das nicht alles vor kurzem schon einmal: "Du bist
nichts, dein Volk ist alles"? "Bei der Psychotherapie ist die Vorgehensweise ganz einfach. Es geht einem da wie einem guten Führer. Ein guter Führer sieht, was die Leute wollen, und das befiehlt er, ein guter Therapeut sieht, was die Leute wollen, und das rät er." Offenbar hatten wir, "die Leute", 1938 einen vielleicht nicht
ganz so "guten Führer", aber jenes ekstatische "Führer
befiehl, wir folgen!" war, Hellinger zufolge, prinzipiell in Ordnung.
Pardon: in "der Ordnung". Was Hellinger hier verspricht, sind
die Wonnen der Regression: nichts mehr entscheiden müssen,
nur noch gedankenlos nachlaufen. Die politische Wellness. "Was [der Vater bei der Gestapo] aber gemacht hat, geht die Kinder nichts an. Kinder dürfen sich in diese Dinge nicht einmischen. Sonst werden sie zu heimlichen Richtern über ihre Eltern ... Das ist gegen alle Ordnung. Das geht Kinder nichts an. Die Schuld der Eltern geht die Kinder nichts an. ... Das ist die Anmaßung des Geringeren, der meint, er könne etwas Gutes bewirken, auch wenn es gegen die Ordnung ist." Die Aufklärung der verbrecherischen Väter-Vergangenheit
ist in Hellingers verschobenem Denken schon deshalb falsch,
weil sie "eine Art Fortpflanzung des Bösen" ist. Und wieso
das? "Weil [damit] Vergangenes nicht vergangen sein darf." Genau
so schlussstrichmäßig und wörtlich beinahe
gleich klang auch der Titel der Nolte-Rede, die in den achtziger
Jahren den Historiker-Streit auslöste. "Genau, das ist, was ich meine. Wir müssen das Ergebnis sehen. Was war das Ergebnis des Widerstandes? Es war gleich Null. Das zeigt, die Widersdasstandskämpfer nicht im Einklang waren. Das waren Leute, die gemeint haben, sie könnten das Rad der Geschichte aufhalten. Das geht nicht." Sophie Scholl und Stauffenberg hätten es also ohne weiteres
besser haben können: Sie hätten nur mit dem rollenden
Rad der Geschichte, in diesem Fall mit Hitler und seiner nun
mal etablierten Macht, in Einklang kommen müssen. Im Reinen
mit einem namenlosen Verbrechen an der Menschlichkeit. Denn
angesichts einer "schicksalhaften Ohnmacht" bleibt "als einziger
Ausweg dann nur die Unterwerfung, das willige Sich-Einfügen
in einen undurchschaubaren, übermächtigen Zusammenhang."
So einfach, so vergewaltigend ist das bei Hellinger. "Ich denke, dass in der Welt Kräfte am Werk sind, die lassen sich nicht steuern. Deswegen tun mir Weltverbesserer leid. Die großen geschichtlichen Bewegungen, der Nationalsozialismus, der Humanismus, die Wende, all das sehe ich als Teil eines gesteuerten Prozesses, bei dem die Opfer sowohl wie die Täter in Dienst genommen sind, für etwas, das wir nicht begreifen." Hier wird Hellinger historisch unanständig. Humanismus und Nationalsozialismus
in einem Atemzug als "große geschichtliche Bewegungen"
zu feiern, verlangt einen bis heute für unmöglich gehaltenen
politischen Wahnsinn. "Die Kraft, die die Welt voranbringt, gründet in dem, was schwer ist oder was wir böse nennen oder schlimm. Die Herausforderung, die zu Neuem zwingt, kommt aus dem Negativen, aus dem, was ich lieber weghaben oder ausklammern möchte. Wenn ich mich daher vor dem Negativen oder dem Sündigen oder dem Kämpferischen drücke, verliere ich vielleicht gerade das, was ich behalten will, nämlich mein Leben, meine Freiheit, meine Größe, meine Würde. Nur wer sich auch mit den dunklen Kräften verbündet und sich ihnen stellt und ihnen zustimmt, der ist verbunden mit den Wurzeln und den Quellen seiner Kraft. Solche Menschen sind mehr als gut oder böse. Sie sind im Einklang mit dem Kosmos und dem Ganzen. Sie wissen, dass das Schlimme mehr ist als nur zum Licht der Schatten. Es ist der Grund, aus dem das Große wächst. Das Gute ist erst seine Frucht." Man würde diese Suada gern als massiven Unfug abtun. Aber Hellingers Predigten sind weltweit ausverkauft, und ungehemmt liefert er sein Eso-Raunen, seine Menschenverachtung, seine politischen Obszönitäten an Tausende von Gläubigen. Widersprochen wird allenfalls dem Therapeuten, und das nur selten. Und ungestört in diesem Helfer-Gewand geht ein politischer Giftmischer um. |